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Das Literarische Werk Gotthelfs – eine kurze Einführung

«Ich schwanke zwischen dem Erlernen einer Sprache, der kritischen Erklärung der Bibel, dem Studium der neuen Philosophien oder gar dem Schreiben eines Büchleins, worüber weiss ich aber nicht», schreibt Jeremias Gotthelf in den 1830er-Jahren einmal seinem Freund, dem Amtsrichter Joseph Burkhalter.

Gotthelf Gemaelde von Johann Friedrich Dietler

Als Pfarrer, Schulkommissär und in weiteren öffentlichen Funktionen erhält Albert Bitzius tiefen Einblick in die Missstände in Bernischen Schulzimmern und im Krankenwesen, in die Probleme rund um den Alkoholismus, in die himmelschreiende Lebenssituation von Verdingkindern oder in Sorgen und Nöte der Bevölkerung ganz allgemein. Angesichts der Zustände, die er nach und nach entdeckt, wird nun nichts mehr mit dem Studium einer neuen Sprache oder der neuen Philosophien: Die Welt macht ihn zum Schriftsteller!

Und so wird aus dem Pfarrer Albert Bitzius der Dichter Jeremias Gotthelf und der «Bauernspiegel» sein erster Roman: Im «Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben», erschienen 1837, geht es ihm darum, «den Blinden den Star zu stechen« und die bernische Bauernwelt, die er von seiner Tätigkeit als Lützelflüher Pfarrer ja sehr gut kennt, sehend zu machen für «die Schwären am eigenen Leib». Fortan schreibt Bitzius unter dem Pseudonym «Jeremias Gotthelf».
 
Wie der Dichter es angekündigt, erscheinen bald in kurzen Abständen weitere Werke, die auch die «Sonnenseite des Bauerntums» hervorheben: «Uli der Knecht», 1841 und «Geld und Geist», 1842. Falsch wäre es, deswegen Gotthelf das Etikett «provinzlerischer Bauerndichter» anzuhängen: In jedem Roman weitet sich nämlich das Bauerntum zum Menschentum aus – vor allem in «Anne Bäbi Jowäger», 1843/44, oder in der «Käserei in der Vehfreude», 1850.
 
Zudem schreibt Gotthelf auch Romane, die ganz oder teilweise in städtischem oder handwerklichem Milieu spielen, etwa «Jakobs Wanderungen», mit vollem Titel «Jakobs, des Handwerksgesellen, Wanderung durch die Schweiz», 1846/47, oder «Der Herr Esau», Romanfragment, 1843/44, posthum veröffentlicht 1922.
 
Es geht Gotthelf nicht bloss um den Bauern, auch nicht um altes Brauchtum – so schön dies auch in einzelnen Werken zum Ausdruck kommt!  Es geht ihm um den Menschen und das Sein in der Welt schlechthin. Auch wenn Gotthelf in die Epoche des Realismus oder gar Naturalismus gehört, basiert sein Werk selbstverständlich – er ist ja schliesslich Pfarrer – zutiefst auf christlichen Werten. Und mehrfach wird Gottes Gegenwart spürbar, offenbart sich Gott ganz direkt.
 
Da und dort bricht jedoch auch das Dämonische im Menschen durch, etwa in der Novelle «Die schwarze Spinne», 1842, oder in den Gestalten des Dorngrüttbauern in «Geld und Geist», 1843/44, oder des Harzer Hans in der gleichnamigen Novelle, 1848. Daneben erscheinen in Gotthelfs Werk schöne, christliche «Lichtgestalten», etwas Änneli in «Geld und Geist» oder Meyeli in «Anne Bäbi Jowäger».
 
Musik, Rhythmus und Poesie in Gotthelfs Sprache
Jeremias Gotthelf verfasst keine Gedichte. Das könne er nicht, schreibt er einmal seinem Freund, dem Basler Theologen Karl Rudolf Hagenbach: «Verse, gereimt oder ungereimt, kann ich nicht zwei Zeilen zusammenbringen mit ordentlichen Füssen, dafür geht mir aller Sinn ab. Sobald ich etwas versen will, so gleicht mein Sprachvorrat einem See, der zu Zeiten abläuft, dass kein Tropfen mehr vorhanden bleibt; und umsonst grüble ich in allen Spalten und Tiefen nach den einfachsten Silben». Anders sei es aber bei der Prosa: «Setze ich zur Prosa an, so rauschen die Worte wieder herauf, und ich kann so ungefähr sagen, was ich will.» Ja, Reimen, das ist nicht sein Ding: Aber auch wenn er einmal schreibt, er habe «mit seinen steinernen Ohren» keinen grossen Genuss beim Besuch einer Oper gehabt, so ist seine Sprache oft sehr «musikalisch». Und ein starkes Gespür für Poesie und Rhythmus hat Gotthelf ohne Zweifel! Hier drei schöne Beispiele, aus der «Schwarzen Spinne», aus der «Wassernot im Emmental» und aus «Käthi die Grossmutter». Wir lösen die Prosa rhythmisch auf und stellen sie in Form (moderner) Poesie dar… hören Sie, wie Gotthelfs Sprache «swingt»?    


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Es ward eine wilde Nacht.
In Lüften und Klüften
heulte und toste es,
als ob
die Geister der Nacht
Hochzeit hielten
in den schwarzen Wolken,
die Winde
die wilden Reigen spielten
zu ihrem grausen Tanze,
die Blitze
die Hochzeitfackeln wären
und der Donner
der Hochzeitsegen.


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Die Not ward gross im Lande.
Heizen sollte man die Stuben
und hatte kein Holz,
füttern sollte man das Vieh
und hatte kein Futter.
Es war Jammer
zu Berg und Tal;
in den Stuben
seufzte,
in den Ställen
brüllte
es tief und nötlich.


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Aber in schönen Nächten,
wenn im Sternenglanz und Mondeslicht
die Erde silbern schimmert
und leise, warme Winde wehen,
machte das liebe Völklein sich auf,
voran Spielleute,
welche auf goldenen Flöten und Schalmeien
gar herrlich spielten;
dann kamen der König und die Königin,
ihre Kronen auf den Köpflein,
die rot und weiss gar wunderbarer
glänzten durch die Nacht,
und hinterdrein in
unabsehbaren Reihen
des Völkleins
ungezählte Scharen;
und wo die Blumen am süssesten duften,
die Quelle am reinsten rieselt,
der Wiesengrund am lieblichsten und zärtlichsten
sich lehnt an den dunkeln Waldessaum,
da schlingen sie ihre Reihen und tanzen
in fröhlicher Lust
in der klaren Luft…


Gotthelf verfasst keine Theaterstücke, auch wenn oft «Gotthelf-Stücke» als Open-Air-Theater gespielt werden - dies sind alles Adaptationen von Romanen oder Erzählungen. Er hält sich streng an die Form des Romans und der Erzählung. Insofern ist also der gelegentlich gehörte Begriff «Shakespeare der Bauernwelt» sicher nicht ganz zutreffend – eher die Charakteristik durch einen anderen grossen Schweizer Dichter, Gottfried Keller: «Episches Genie».

Verschiedene Dramatisierungen hat übrigens der Emmentaler Mundartschriftsteller Simon Gfeller verfasst, zum Beispiel "Hansjoggeli, der Erbvetter" oder "Geld und Geist".

Und Walter Muschg, Literaturhistoriker, Essayist und grosser Gotthelf-Kenner, schreibt, Gotthelf sei… «fraglos nicht nur der grösste, sondern der einzige Erzähler ersten Ranges in der deutschen Literatur, der einzige, der sich mit Dickens, Balzac oder Dostojewskij vergleichen lässt.»  
 


Autor: Werner Eichenberger; Quellen: Walter Muschg «Jeremias Gotthelf – Eine Einführung in seine Werke, Francke Verlag Bern und München; Walter Laederach «Jeremias Gotthelf in Lützelflüh», Berner Heimatbücher, Verlag Paul Haupt; Bruno Boesch/Karl Fehr «Deutsche Literaraturgeschichte in Grundzügen«, Francke Verlag Bern und München; Hanns Peter Holl «Jeremias Gotthelf, Leben – Werk – Zeit», Artemis; Website der Uni Karlsruhe; Wikipedia

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